Strategien gegen den unfairen Wettbewerb entwickeln

01.08.2024

Autor: Konrad Schröter, Freier Journalist, Leipzig

Co-Autorin: Martina Schimmel, Geschäftsführerin zentrada, Würzburg

Wie chinesische Online-Plattformen den europäischen Handel beeinflussen und welche Schritte die Politik gehen muss.

Google-Eingabe: „Jogginghose kaufen“. Die ersten beiden Ergebnisse: Von Temu. Eingabe: „Ferngesteuertes Auto“. Zweites Ergebnis: Temu. „Weihnachtsbaumkugeln“. Drei der ersten fünf Ergebnisse: Von Temu.

Wer heutzutage Onlineshopping nutzt, wird von chinesischen Onlinehändlern nahezu erschlagen. Egal welche Produkte: Temu, Shein, Wish und Co. stechen mit Top-Platzierungen sofort ins Auge. Die Preise sind verlockend: Herren-Jogginghose für 9,83 Euro, ferngesteuertes Auto für nicht mal 50 Euro, 24 Weihnachtskugeln für 1,86 Euro. Wie konnte es dazu kommen? Und was heißt das für den europäischen Markt?

„Der rasche Aufstieg von Temu, Shein, Wish & Co. basiert im Wesentlichen auf drei Faktoren“, erklärt Martina Schimmel, Geschäftsführerin des europaweit agierenden Händlernetzwerks zentrada. Da wäre zunächst der günstige Preis: „Letztlich verkaufen die Chinesen viele Produkte zu gleichen oder ähnlichen Preisen, wie sie sie auch an Importeure oder andere Wiederverkäufer vertreiben.“ Während die europäischen Importeure und Händler nun noch eine eigene Gewinnmarge draufschlagen müssen, können die chinesischen Plattformen weit unter dem europäischen Verkaufspreis handeln.

Faktor 2: Wachstum. Gewinne sind noch nicht wichtig, der Börsengang und ein schneller Aufstieg stehen auf der Agenda. „Aus dieser Denke investieren die Konzerne enorm viel Geld in Marketing“, führt Martina Schimmel aus. Die Google-Stichprobe vom Beginn verdeutlicht die Strategie. Hieraus ergibt sich auch die dritte Ursache für die Marktherrschaft chinesischer Onlinehändler, insbesondere Temu: „Die Kunden werden mit relativ aggressiven Methoden in die App gelockt und auch dazu verleitet, so lange wie möglich darin zu verweilen.“

Was zunächst schulterzuckend als kluge Unternehmenstaktik abgetan werden kann, beruht jedoch auf fragwürdigen Wettbewerbspraktiken. So werden beispielsweise Versandkosten chinesischer Händler durch den Weltpostverein subventioniert und chinesische Produkte sind teilweise zoll- und umsatzsteuerbefreit. Das Ergebnis: Noch günstigere Preise können durchgesetzt werden. Die Qualität der Produkte ist nicht relevant, denn die EU-Zollstellen haben schlicht nicht genügend Kapazität für die Kontrolle der Sintflut asiatischer Paketlieferungen, allein nach Deutschland gehen jeden Tag ca. 400.000 Sendungen. Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft spricht von Steuerbetrug und einem Steuerschaden in Milliardenhöhe, den EU-Bürger durch ihre Abgaben ausgleichen müssen.  

Unter den Wettbewerbsmethoden leiden besonders die europäischen Händler. Eine Umfrage des zentrada-Netzwerks hat ergeben, dass 65 % der Händler den Wettbewerbsdruck durch Temu und Shein stark spüren, 23 % sehen sogar ihre Existenz bedroht. Selbst wenn es den Händlern gelingt, bei den Preisen mitzuhalten, müssten sie ihre Margen auf ein Minimum reduzieren.

Zur Angleichung der Unterschiede hat zentrada kürzlich eine Petition gestartet, die den europäischen Handel durch die Forderung nach ausgleichenden Maßnahmen stützen soll. Zentrale Forderung ist die Abschaffung der Subventionen für chinesische Lieferungen, besonders für Zölle und Versandkosten. Weiterhin fordert die zentrada-Petition, dass Produkte aus chinesischen Direktimporten auf Konformität mit EU-Richtlinien geprüft werden und die Plattform für ihre Sendungen zur Haftung gezogen werden. Auch die Teilnahme an den europäischen Entsorgungskonzepten soll für Temu, Shein, Wish und weitere asiatische Händler genauso verpflichtend sein wie für Unternehmen aus der europäischen Handelsbranche. „Wenn diese Maßnahmen umgesetzt würden, wären die Voraussetzungen zwischen Temu & Shein und den europäischen Händlern wieder etwas angeglichener“, sagt die zentrada-Geschäftsführerin.

Bis die Wettbewerbsbedingungen komplett angeglichen sind, wird es wohl noch dauern. Was können europäische Händler also tun, um mit der asiatischen Konkurrenz mitzuhalten? Zentrada empfiehlt Handelsunternehmen, zunehmend auf Markenware zu setzen, anstatt die markenlosen chinesischen Produkte weiterzuverkaufen. Damit sind jedoch nicht die klassischen und allseits bekannten Konsumentenmarken gemeint: „Es gibt von den meisten Importeuren innovative Brandlines und Eigen- oder Handelsmarken in jeder Preisklasse“, so Martina Schimmel. „Wenn Händler auf diese Marken setzen, steigern sie Kundenvertrauen und Qualitätsbewusstsein und bleiben im angestammten Preisrahmen.“ Eine weitere Möglichkeit ist die Entwicklung einer eigenen Brand – eine Strategie, wie sie Amazon-Händler bereits seit Jahren verfolgen.

Professionelle, qualitätsbewusste Messen wie die IAW-Messe oder zentrada als virtuelle Messe spielen eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung. Wenn sich die Messen und ihre teilnehmenden Händler noch stärker auf Marken positionieren und durch ihre Ausrichtung weiterhin ein hohes Qualitätsbewusstsein aufrechterhalten, kann es gelingen, den europäischen Handel wieder zu stärken. Ziel: Nicht mehr Temu ist auf der ersten Google-Seite zu sehen, sondern qualitative Produkte aus Ländern mit fairen Wettbewerbsbedingungen.

Weitere Informationen zu diesem Thema erhalten Besucher der IAW-Messe am zweiten Messetag, 04.09.2024 beim zentrada-Forum mit dem Titel „Billig immer besser? Deutschlands Handel im Visier von Temu, Shein & Co.“ Details zum Programm finden sich in Kürze auf der Webseite www.iaw-messe.de

Link zur zentrada-Petition: https://www.change.org/zentrada-petition-gegen-temu

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