Made in China – Über internationale Lieferketten und alternatives Sourcing

29.08.2024

Autor: Konrad Schröter, Freier Journalist, Leipzig

Vom Kinderspielzeug über die Kaffeemaschine bis hin zur Jeanshose: „Made in China“ ist allgegenwärtig. Das „Made in China“-Label, oft mit günstigen und niedrigqualitativen Produkten assoziiert, verdeutlicht die Entwicklung einer globalisierten Welt. Woher kommt die chinesische Wirtschaftsmacht? Welche Auswirkungen hat China auf die Weltwirtschaft? Wohin geht der Trend im globalen Sourcing? Und wie können europäische Händler auf diese Situation reagieren?

„China hat seit den 1970er Jahren marktwirtschaftliche Reformen vorangebracht und sich im Verlauf der 1990er Jahre für Direktinvestitionen und den internationalen Handel geöffnet. Das hat die Grundlage für die Verlagerung von Produktionsstätten nach China und die Integration des Reichs der Mitte in die Weltwirtschaft geschaffen“, erklärt Prof. Dr. Gunther Schnabl, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. Als in den frühen 2000er Jahren viel Kapital nach China floss und China der Welthandelsorganisation beitrat, war der Aufstieg des asiatischen Lands nicht mehr zu stoppen.

 Seitdem läuft ein Großteil des weltweiten Sourcings über China. Hauptgrund: Niedrige Kosten durch geringe Betriebskosten, günstige Rohmaterialien, stabile Energiewirtschaft und niedrige Löhne. Die Studie „Sourcing in China“ der msg systems ag hat herausgefunden, dass der Kostenvorteil bei den meisten Unternehmen weiterhin höher gewichtet wird als die kritische, mediale Berichterstattung über die soziale und umweltpolitische Situation in China.

Der schnelle Aufstieg Chinas nach der Jahrtausendwende hatte durchaus positive Folgen: „Zwischen 2000 und 2014 war China ein großer Wachstumsmotor für die Weltwirtschaft. Weil die Produktion günstiger Güter stark gewachsen ist, hat das in den Industrieländern erhebliche Wohlstandsgewinne gebracht“, erklärt Prof. Dr. Gunther Schnabl.

Mit der Massenproduktion sind jedoch auch Risiken verbunden: 95 % aller Unternehmen, die Produkte in China einkaufen, berichten von gelegentlichen Qualitätsmängeln, insb. in der Produktion und den verwendeten Rohmaterialien, so die Studie „Sourcing in China“. Wer als Händler zu viel auf China setzt, riskiert außerdem eine Abhängigkeit von den dortigen Lieferanten: Zunehmende geopolitische Spannungen, ein erstarkender Einfluss des chinesischen Staats auf die Wirtschaft und steigende Arbeitskosten könnten die Attraktivität der Exportnation China in Zukunft gefährden. „Ähnlich wie Japan seit den 1990er Jahren dürfte China als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft in Zukunft ausfallen“, prognostiziert Prof. Dr. Gunther Schnabl.

Dass diese Entwicklung bereits im Gang ist, bestätigt Sebastian Herz, Gründer und Geschäftsführer von Zignify Global Product Sourcing. „Es gibt aktuell eine massive Bewegung zum Nearshoring“, also das Sourcing von Produkten aus Standorten, die näher am Verkaufsort liegen. Am Beispiel des deutschen Marktes kommen die Importe zunehmen aus Südosteuropa, Südeuropa oder der Türkei.

Aus handelswirtschaftlicher Perspektive sieht Sebastian Herz viele Gründe für den sinkenden Einfluss Chinas, unter anderem die US-amerikanischen Strafzölle, die die Trump-Regierung chinesischen Importprodukten auferlegt hat und die China als Produktionsstandort für US-Unternehmen unattraktiv machen.

Ein wesentlicher Faktor ist auch der Transport chinesischer Produkte. Containerpreise steigen aktuell stark an, zurückzuführen unter anderem auf eine künstliche Verknappung des Angebots durch Reedereien. Die Folge: Steigende Kosten und sinkende Margen. Nicht zuletzt sind die langen Transportzeiten ein Problem für Händler und Unternehmen, die auf chinesische Produkte angewiesen sind. Welche Risiken aus dem langen Transportweg resultieren, zeigte 2021 die Blockade des Suezkanals durch ein festgefahrenes Containerschiff. Hinzu kommt Piraterie, die eine starke Gefährdung auf großen Handelsrouten darstellt. Piraten zwingen die Reedereien, längere Wege zu fahren, beispielsweise um das Kap der Guten Hoffnung, was Lieferzeiten massiv verlängert und Produktions- und Lieferprozesse weiter verzögert.

Was können Händler nun tun, um mit den Entwicklungen rund um die unsichere Lage des Produktionsstandorts China mitzuhalten? Ein wirksames Instrument: Diversifikation von Lieferketten. 40 % der befragten Unternehmen der „Sourcing in China“-Studie gaben an, dass sie bevorzugt einen Pool von 10-50 strategischen Lieferanten zur Auswahl haben. Langfristig denkende Unternehmen achten zusätzlich darauf, ihre Lieferanten auf mehre Länder zu verteilen. Andere asiatische Staaten, beispielsweise Vietnam, Indien oder Thailand, können genauso attraktive Sourcingstandorte sein wie osteuropäische und amerikanische Staaten. „Die Verlagerung von Produktion in andere Staaten ist zwar mit Kosten verbunden, hilft aber auch geopolitische Risiken zu diversifizieren“, so Prof. Schnabl. Neben der Unabhängigkeit bietet das Ausweichen auf andere Länder den Spezialisierungsvorteil: Unterschiedliche Nationen sind sowohl in der Produktion als auch in der Ausbildung von Fachkräften auf unterschiedliche Branchen fokussiert, was europäische Händler bei der Auswahl ihrer Lieferanten nutzen können.

Sebastian Herz von Zignify Global Product Sourcing beobachtet in seiner täglichen Arbeit, dass China weiterhin eine große Rolle spielen wird, jedoch: „Es steigt das Bewusstsein, mit der Produktion näher an die Märkte ranzugehen“. Produktion in anderen Ländern, beispielsweise in Südeuropa, ist zwar mit höheren Kosten verbunden, verringert aber Lieferzeit und damit die Menge an gebundenem Kapital. Die importierenden Unternehmen werden durch die Entwicklung flexibler, auch weil sie öfter kleinere Mengen bestellen können, anstatt Großeinkäufe in weit entfernten Ländern tätigen zu müssen.

Händler, denen die Qualität ihrer Produkte wichtig ist, können zusätzlich regelmäßige Qualitätskontrollen und Audits einführen, um die Leistung ihrer Lieferanten zu quantifizieren und Qualitätsabfälle frühzeitig zu erkennen. Ein Fokus auf nachhaltige Lieferanten und Produktionsstätten ist zwar mit Kosten verbunden, kann aber neben ethischen Vorteilen auch das Image des Unternehmens stärken.

Im aktuellen Handelskonflikt mit China rät Prof. Dr. Gunther Schnabl unterdessen zu Besonnenheit: „Europa sollte den Exportsubventionen Chinas nicht mit Zöllen begegnen. Das könnte einen Handelskonflikt heraufbeschwören, unter dem nicht nur China, sondern insbesondere auch das exportabhängige Deutschland leiden würde. In der Vergangenheit haben sich viele deutsche Unternehmen immer dann neu erfunden, wenn sie unter großem Wettbewerbsdruck standen. Deutschland verfügt immer noch über ausreichend Know-how und eine gut qualifizierte Arbeitskraft, um sich wieder fit für die Welt zu machen“, so der Professor der Universität Leipzig.

Was am Ende bleibt: Ein erstarkendes China hat den Schwerpunkt der Weltwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten nach Asien verlagert – Doch der chinesische Aufstieg scheint nicht unaufhaltsam. Europäische Händler können über die Diversifikation ihrer Lieferanten Abhängigkeit von einzelnen Ländern vermeiden und auch geopolitischen Risiken entgegenwirken. Ob das „Made in China“-Label auch zukünftig noch allgegenwärtig sein wird?

Der IAW-Newsletter

Sprache wechseln

Suchen

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden